Samstag, 2. Juli 2016

Der böse Mainstream

Mainstream. Ein böses Wort. Ist ja schließlich etwas für die breite Masse. Für den Pöbel. Pfui. Wer will da denn schon dazugehören? Natürlich niemand. Das Wort "Mainstream" ist mittlerweile durchweg negativ besetzt.

Die Definition besagt, er spiegelt den kulturellen Geschmack einer großen Mehrheit wider. Ist das jetzt wirklich so schlimm?

Fragen Sie mal die Leute, was Eurobonds sind

Ich arbeite bei einem Mainstream-Sender. Wir versuchen mit jedem Thema möglichst viele Menschen anzusprechen, bei jeder Nachrichtenmeldung einen Dreh zu finden, der für die Mehrheit relevant ist und unsere Texte immer so zu formulieren, dass sie auch von Nicht-Studierten verstanden werden. Das gelingt nicht immer, aber oft. Einfacher ist es, sich von einem hohen Ross herab an den Hörer / Zuschauer zu wenden und sich zu denken: "Die, die es interessiert, verstehen das auch." Wenn in der ARD in jeder Tagesschau mit Fachbegriffen um sich geworfen wird, die nicht erklärt werden, kann man das schon machen. Aber nur, wenn einem egal ist, dass ein Großteil der Konsumenten den Inhalt der News nicht versteht. Gehen Sie mal auf die Straße und fragen 50 Leute, was ein Weißbuch in der Politik ist oder was genau hinter Eurobonds steckt. Beides Beispiele aus den letzten Wochen. Was wird da wohl rauskommen? Das ist pure journalistische Arroganz.
Derartiges sieht und hört man auch oft bei politischen Interviews. Die Fragen sind nicht aus Sicht der Menschen formuliert, sondern schweben unter der politisch-medialen Käseglocke, der Wirklichkeit völlig entrückt. Wir Journalisten werfen Politikern oft Realitätsferne vor. Derweil sind viele Medienvertreter nicht anders.

"Ihr denkt ja nur an eure Quote!"Ja, stimmt.

Mainstream bedeutet auch, Aspekte auszublenden, die für die Mehrheit nicht relevant sind. Das stößt oft auf Unverständnis. Letztens entbrannte auf Facebook eine Debatte, nachdem ein Nachrichtenmagazin einen Artikel zu einem neuen Zug der Bahn gepostet hatte. Daraufhin schimpfte eine Userin in barschem Ton, es sei eine Frechheit, dass man mit keinem Wort erwähne, wie viele Rollstuhlplätze der Zug habe. Darum gehe es schließlich. Für die Frau vermutlich ein wichtiger Punkt. Aber ist es auch einer, der in solch einem Artikel zwingend berücksichtigt werden muss? Nein, weil für die Mehrheit kostenloses WLAN relevanter ist. Das muss man nicht gut finden. Aber es ist so. Übertragen auf Radiosender: Es geht nun mal um Einschaltquoten. Auch das, ein oft gehörter Vorwurf: "Ihr denkt ja nur an eure Quote!" Ja, genau so ist es. Weil es unser Job ist, unser Programm auf möglichst viele Menschen auszurichten. Und das ist auch nichts Schlimmes.

Wird bei Amazon kurz vor Weihnachten gestreikt, kann man als Radiosender dann Gewerkschaftsvertreter interviewen, den Unterschied der Tarifverträge erläutern, auf die Arbeitsbedingungen eingehen und den Landtagsabgeordneten dazu befragen. Alles schön und auch berichtenswert. Über allem steht für die "breite Masse" aber nur eine Frage: Kommt mein Paket trotz Streik noch pünktlich an?

Es gibt natürlich unterschiedliche Formate. Wenn man explizit für ein Fachpublikum schreibt oder sendet, sieht das Ganze anders aus.  

Beispiel aus dem Augsburg Alltag: Das neue Stadtfest zieht 150.000 Menschen an drei Tagen an. Die Masse. Beste Werbung für die Stadt, die Leute sind begeistert. Aber halt, es gab ja auch ein paar Betrunkene, die durch die Straßen getorkelt sind. Deshalb monieren einige Stadträte, es gehe zu wie am Ballermann und das könne ja wohl nicht sein. Mehr Hochkultur müsse her! Ist natürlich ohne Probleme möglich. Wenn es einem egal ist, dass dann weniger Leute kommen. Wenn man möchte, dass die Feuilletonisten angetan sind - und nicht der böse Mainstream.